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SOFIE ENDERS (9. Klasse):


Etwas Hoffnung im Grauen


Meine Augen öffnen sich, und ich sehe die kahle Decke über mir. Sie wirkt wie jeden Morgen, verlassen und mit nur einer Lampe bestückt. Langsam setze ich mich auf und genieße diese ersten ruhigen Sekunden nach dem Aufwachen. Danach stürzen die Geräusche Tokios auf mich ein, und ich bin wie von einem Schlag getroffen. Ich stehe auf und schließe das kleine Fenster meiner noch viel kleineren Wohnung. Mit fünf Schritten bin ich im Badezimmer und klatsche mir etwas Wasser ins Gesicht. Als ich meinen Kopf hebe, sehe ich mein eingefallenes, nasses Gesicht, welches praktisch aus Augenringen besteht. Von mir selbst und meinem überarbeiteten Ich genervt, rolle ich mit den Augen und mache mich fertig.


Wenig später stehe ich in meiner kleinen Küche und schnappe mir mein soeben belegtes Sandwich mit Tomaten und Salat. Es verschwindet in meiner Aktentasche, und ich blicke auf meine Armbanduhr. Es ist schon 6.30 Uhr! Schnell ziehe ich mich um, streife die Schuhe über meine Füße und verlasse mein kleines, schützendes Zuhause.


Sobald ich die Tür aufmache, schlägt mir sofort ein Geruch von Abgasen und Menschen entgegen. Der Lärm lässt mich annehmen, meine Ohren würden der Belastung nicht standhalten, doch wie immer geht es auf unerklärliche Weise doch. Die Leute unten auf der Straße beachten ihre Ummenschen nicht, und schon gar nicht mich, die hier oben auf der Treppe zu meinem kleinen Ein-Zimmer-Haus steht. Nach kurzer Zeit erreiche ich unten die Straße und lasse mich von dem Menschenstrom mitreißen. Auf dem Weg zur Arbeit sehe ich, wie jeden Morgen, die grauen Gebäude und Wolkenkratzer, die es einem von hier unten schwer machen, den Himmel zu sehen. Kurz darauf werde ich endlich den starken Parfümgeruch der aufgebrezelten Frau neben mir los, als ich in eine kleine Seitenstraße abbiege. Hier und dort sehe ich vereinzelt noch Menschen, doch wenig später nicht mehr.


Auf dem Weg zum Büro komme ich mir vor wie eine Ameise. Ich arbeite jeden Tag bis spät abends und stehe dann frühmorgens wieder auf, um zur Arbeit zu gehen. Und wofür das alles? Um meine kleine Zelle in diesem riesigen, grauen Gefängnis zu bezahlen? Jeder Tag ist gleich und so langweilig, wie nur irgendwie möglich. Resigniert gehe ich weiter über den rissigen Asphalt, an den alten, verschlissenen Geschäften vorbei. Graue Läden, graue Gassen, graue Häuserschluchten und graue Menschen! Doch was ist das?


Dort drüben in der kleinen Gasse scheint etwas vergeblich auf sich aufmerksam machen zu wollen. Niemand bemerkt es. Nicht der Mann im blauen Anzug mit seinem Handy in der Hand, der gestresst und mit schnellen Schritten hetzt, und auch nicht die drei Kinder mit ihren Schulrucksäcken, die gerade aufgeregt und unbekümmert hinter etwas herlaufen. Doch es ist da und wartet förmlich auf eine suchende Person. Ich gehe darauf zu, und plötzlich ist alles Hektische, ist der ganze Stress wie vergessen.


Als ich davorstehe, bücke ich mich zu der Pflanze herab und inspiziere ihre kleinen, sanften, grünen Blätter. Es ist eine Blume, eine weiße, eine, die viel zu rein und gelassen für diesen Ort wirkt, so wie sie sich sanft im Wind wiegt und mit ihren Blättern schaukelt. Ich muss lächeln, und mir kommen die Tränen. Mit einem Arm wische ich mir über die Augen, und auf einmal ist es stockduster. Doch das Grün der kleinen Blume bleibt mir im Kopf.


Meine Augen öffnen sich, und ich sehe die kahle Decke über mir. Sie wirkt wie immer, grau und … . Noch etwas benommen vom Schlaf stehe ich auf, und mir kommt es vor, als hätte ich etwas vergessen! Ich schließe das Fenster, durch welches das morgendliche Tokio tost. Mit einem komischen Gefühl mache ich mich fertig, stecke mir mein Tomaten-Salat-Sandwich ein und verlasse das Haus. Ich gehe die Treppe runter auf die belebte Straße, reihe mich ein und werde förmlich zur Arbeit gezogen. Kurz bevor ich eigentlich abbiegen muss, bleibe ich stockstarr stehen und drehe mich langsam um. Mehrere Leute murmeln mir verärgert etwas zu oder schreien mich sogar an, doch es dringt nicht wirklich etwas zu mir durch.


Ich kann nur eine kleine, grüne Pflanze ansehen, die hinter mir am Rand der großen Straße wächst. Sie steht in einem Riss des Asphalts, der sich vom allumfassenden Grau der Stadt befreit hat. Meine Augen fangen an zu tränen, und eine kleine Erinnerung flackert in meinem Kopf auf, doch dann sehe ich, wie ein Mann die Blume einfach unbemerkt zertritt.


Die Erinnerung, die vorhin noch so zum Greifen nah war, ist nun fort, und plötzlich werde ich weitergezogen. Von den vielen Menschen in die Seitenstraße gedrängt, bin ich wieder auf meinem Weg zum Büro. Die Arbeit! Auf einmal bin ich wieder gestresst und wie aus einem kurzen, schönen Traum erwacht. Die Pflanze ist vergessen, und ich sehe auf meine Uhr. Es ist bereits 07:13 Uhr! Schnell laufe ich los, damit ich noch rechtzeitig zur Arbeit komme. DAS ENDE