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MATHIS BLUM (3. Klasse): 


Das Wunder des Winters  


Diese Geschichte handelt von einer Entdeckung, die das Leben von vielen Menschen veränderte – nicht zuletzt von Aerius und seinem Bruder Sirius. Sie lebten ein oder zwei Generationen nach dem letzten Wikinger und stammten vermutlich von ihm ab. Aber das ist keine Geschichte von Barbaren, sondern von Entdeckern. Die Insel, auf der Aerius in seinem Dorf lebte, besaß etwas sehr Wertvolles: eine Karte, auf der vier Kontinente Platz gefunden hatten. Nur eine Insel hatte niemand je betreten. Nicht, dass sie es nicht versucht hatten. Aber an der Spitze der Berge, die die Insel umgaben, war der Luftgehalt so gering, dass man es keine zehn Minuten dort aushielt.  

Auf der Insel, auf der Aerius lebte, war Winter. Aber dieser Winter war anders, der Winter dieses Jahr hatte verlernt, wie man zaubert. Ich will es euch erklären: Jeden Winter, den Aerius erlebt hatte, waren die Wiesen zugeschneit, waren die Teiche gefroren, war der Egwan, so hieß der Wald der Insel, zu einem Winterwunderwald geworden. Aber dieses Jahr war alles anders.  

Die Schafe waren ausgebrochen und hatten die Wiesen zertrampelt, ein Stein hatte den Teich kaputtgemacht, und auf den anderen Teichen war das Eis zu dünn, und der Wald war von einer Lawine bedeckt. Aerius glaubte nicht, dass der Winter dieses Jahr noch zaubern würde. Am 25. 12. sagte Sirius, dass der Dorfälteste einen Ort kannte, an dem der Winter wunderschön war. Das konnte Aerius nicht glauben, denn er war sich sicher, dass der Winter nicht mehr zaubern konnte. Aber er war neugierig und ging mit seinem Bruder zum Dorfältesten. 

Die Hütte, in der der Dorfälteste lebte, war in ein blaues Licht getaucht. Aerius schaute sich fasziniert um. „Na, wollt ihr wissen, wo dieser Ort liegt?“ Ein alter Mann stand vor ihnen, das Gesicht war faltig und die waren Haare lang und silbern. Aber trotzdem wirkte er sympathisch. „Ja“, antwortete Aerius. Der nette Eindruck war verschwunden und der Mann wurde sehr ernst. „Nur einer von vielen kam zurück. Er redete von einem Kraken und von einem Schiffsfriedhof. Warum sollten ZWEI KINDER schaffen, was Hunderte von Männern nicht geschafft haben?“  

„Ich will den Winter noch einmal zaubern sehn und einen Ort finden, an dem niemand war“, murmelte Aerius. „Schön. Geht. Aber nehmt das hier mit.“ Er holte eine Karte heraus und legte sie auf den Tisch. „Ihr müsst nur über den Ozean. Und dann am Kraken vorbei. Schafft ihr das?“ „Kleinigkeit“, sagte Sirius grinsend. Noch diesen Abend packten sie ihre Sachen.  

Sie hatten mit Ewan, das heißt, mit dem Dorfältesten, besprochen, dass sie sich um zehn Glockenschläge treffen würden. Der Morgen kam, und die Brüder brachen auf. Ewan wartete schon auf sie. Das Schiff, das Ewan ihnen leihen würde, war prächtig: Es war aus Eichenholz angefertigt, das golden schimmerte, die Gallionsfigur war ein goldener Adler, und der Name glänzte wunderschön im Licht des Mondes und verkündete: die Aurora. „Eine Schönheit, nicht wahr“, flüsterte Ewan. Aerius lichtete den Anker, und er und sein Bruder stachen in See. Zu Hause lag ein handgeschriebener Zettel von Sirius, auf dem stand, dass sie bei einem Freund übernachteten. Mit einer Notlüge im Rücken waren sie aufgebrochen.  

Aerius studierte die erste Zeit die Karte, dann ging er an Deck und lehnte sich an die Reling. Sein Wunsch, einen Ort zu finden, an dem noch niemand war, und der Wunsch, den Winter noch einmal zaubern zu sehen, waren verschmolzen. Er konnte sie schon greifen: Greif nach den Sternen, war sein, war ihr Motto.  

Es war windstill, nur eine Brise umkreiste sein Gesicht. „Magie, ich komme!“, rief Aerius in die Stille hinein. Sie reisten einige Tage, aber die Insel war wie untergegangen. Der Wind nahm zu, aber beide dachten, sie kamen nur in den Norden. Als es dann aber anfing zu regnen, wussten beide, dass es einen Sturm geben würde. Um acht Glockenschläge fing es an: Ein Taifun wie vom Gott des Wassers geschaffen, kam auf sie zu. „Kannst du die Aurora wenden?“, rief Sirius. „Nein“, schrie Aerius. „Halt dich fest“, riefen sie wie aus einem Mund.  

Aerius klammerte sich fest. Jetzt lagen sie fast schief, der Mast, an dem sich Aerius festhielt, brach, und Aerius wurde kalt bis auf die Knochen. Er kämpfte, kämpfte, aber irgendwann wurde alles schwarz.  

Das Nächste, was er sah, war Wasser. Er rappelte sich auf, er war wohl an einer Küste. Die Aurora hatte den Sturm ganz gut überstanden: Der Mast war gebrochen und ein paar Bretter waren gerissen, aber sonst war sie wohl intakt. Er schaute hoch. Er befand sich am Fuß eines Berges, er war auf der Insel. Sirius! Wo war er? In der Aurora? Nein! Dort wäre er ertrunken. Vielleicht… Nein! Unter einigen Balken lag er, er war gesund. „Sirius, Sirius!“ „W-Was?“ „Wir sind da!“  

Um siebzehn Glockenschläge fanden sie einen Eingang, und da war der Krake, er war riesig. Aber da war auch ein riesiges Schiff. „Wir gehen da rein, ich habe einen Plan.“ Er und Sirius rannten, sprangen über Masten, bis hin zum Frachter. Im Vorbeirennen rief Sirius dem Kraken Beleidigungen an den Kopf. Jetzt waren sie auf dem Frachter, das Deck gab nach, und sie waren im Lagerraum. Noch mehr Balken splitterten, und der Kopf des Kraken war jetzt zu sehen. Aerius‘ Plan würde aufgehen, ein brennendes Schwefelholz würde genügen… JA! Es brannte, er warf es in die Ecke mit dem Schwarzpulver. „Lauf!“, rief Aerius.  

Das Holz, gegen das sie rannten, gab nach, und sie landeten im Wasser. Eine Sekunde danach explodierte das Schiff mit einem gewaltigen Knall. Der Krake war besiegt.  

Aber nicht nur das eine Stück Wand brach: Aerius wartete die letzten Meter ab und der Anblick, der sich ihm bot, war unglaublich. Die Wiese war gepudert, und die Weide in der Mitte der Wiese war unglaublich: Opalgleich hingen gefrorene Wassertropfen an den Zweigen. Aber wirklich unglaublich war eine gefrorene Welle, die wie eine Kuppel über das ganze Tal gespant war. Manchmal ist es doch gut, an Wünsche zu glauben. Und an Wunder. Und Magie.